4.1. Das Artensterben im Anthropozoikum
4.1.1. Aussterben – ein normaler Prozess
Das Aussterben war meist ein normaler und permanent stattfindender Prozess. Arten entstehen und Arten vergehen. Die Lebensdauer von Arten ist sehr unterschiedlich. Bei rascher Radiation beispielsweise in einem neu erschlossenem Gebiet kann die Lebensspanne einer Art nach dem phylogenetischen Artkonzept zwischen der Artspaltung, aus der sie hervorgegangen ist und der Artspaltung in der sie sich in neue Arten aufteilt nur einige zehntausend Jahre betragen. Der Eisbär hat sich erst vor etwa 10.000 Jahren aus dem Braunbären entwickelt. In nur 200.000 Jahren entstanden Hunderte Arten von Buntbarschen in den Seen des ostafrikanischen Grabenbruchs. Manche Arten allerdings werden uralt. Bei einigen spricht man sogar von lebenden Fossilien. Pfeilschwanzkrebse, Quastenflosser und Ginko-Baum haben sich seit mehr als hundert Millionen Jahren zumindest morphologisch kaum verändert. Doch sie sind große Ausnahmen, die meisten Arten haben ein Lebensalter von einigen Millionen Jahren.
Seit langen wird die Erdgeschichte in Ären, Perioden und Epochen eingeteilt. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts wurde durch William Smith die konstante vertikale Abfolge von Fossilien entdeckt und Charles Lyell beschrieb 1828 die noch heute gültigen Epochen des Tertiär, Pliozän, Miozän und Eozän. Leopold von Buch prägte 1810 den geeigneten Begriff Leitfossil. William Smith veröffentlichte vor allem durch die Arbeit mit diesen Fossilien im Jahr 1815 die erste geologische Karte Großbritanniens. Georges Cuvier1 kam durch geologischen Untersuchungen des Pariser Beckens zu dem Gedanken, dass abwechselnd Fluten von Süß- und Meerwasser die Erdoberfläche verändert haben müssen. Er entwickelte daraus die Theorie des Katastrophismus, der zufolge wiederholt große Katastrophen einen Großteil der Lebewesen vernichtete und aus den verbliebenen Arten in den darauf folgenden Phasen neues Leben entstanden sei. Schon vor Darwin gab es Wissenschaftler, die nicht mehr an die Konstanz der Arten glaubten, wie Charles Bonnet, Jean-Baptiste de Lamarck und Etienne Geoffroy Saint-Hilaire2. Zwischen Saint-Hillaire, der Anhänger des Gradualismus, einer allmählich und kontinuierlich verlaufenden Entwicklung war und Cuvier kam es 1830 zum Pariser Akademiestreit.
Den Geologen, vor allem den Paläontologen, war schon lange aufgefallen, dass die stratigrafischen Schichten der verschiedenen Epochen und Zeitalter mit sehr unterschiedlichen, oft typischen Fossilien in sehr unterschiedlichen Quantitäten ausgestattet waren. So gab es Schichten, die sehr reich an Fossilien waren, in anderen fehlten sie fast völlig. Diese Umstände gaben Anlass zu Spekulationen und so gab es die erstaunlichsten Erklärungsversuche zum Beispiel für das recht plötzliche Aussterben der Saurier. Der einst als rückständig angesehene Katastrophismus – Theorie Cuviers wurde in einigen Aspekten wieder interessant.
4.1.2. Massenaussterben
Fortschritte in der Computertechnik öffneten der mathematischen Paläontologie neue Möglichkeiten. Nach der Eingabe großer Datenmengen über Fossilien kamen zwei Paläontologen der Universität Chicago zu bahnweisenden Erkenntnissen. Den Untersuchungen von David Raup und Jack Sepkoski3 zufolge wurde unsere Erde von etwa 20 Aussterbeereignissen heimgesucht. Bei fünf von ihnen wurde mehr als 60 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten für immer ausgelöscht.
Die fünf großen Auslöschungen:
- Ende Ordovizium vor 440 Millionen Jahren
- Spätes Devon vor 365 Millionen Jahren
- Ende Perm vor 225 Millionen Jahren
- Ende Trias vor 210 Millionen Jahren
- Ende Kreide vor 65 Millionen Jahren
Eventuell könnte man auch von sechs oder acht Massensterben ausgehen, aber nach dem gegenwärtigen Stand der Paläontologie und dem Wert 60 Prozent kommt man auf fünf. Gut untersucht sind bisher nur die Ursachen von zwei Katastrophen.
4.1.2.1. Die Permsche Extinktion
Bei diesem größten Rückschlag der Evolution entkam das Leben auf der Erde, zumindest was die höheren Organismen betrifft, gerade noch seiner totalen Vernichtung. Ein Riss im Erdmantel lies die sibirischen Trapp-Decken entstehen. Millionen Kubik-Kilometer Lava drangen an die Erdoberfläche. Durch enorme Kohlendioxid- Freisetzung stieg die Erdtemperatur um etwa 4°C an. Allmählich erwärmte sich auch das Wasser der Ozeane. Große Lagerstätten von Methanhydrat (Methaneis) setzten durch diese Erwärmung das Treibhausgas Methan frei. Neunzig Prozent aller Meereslebewesen starben aus. Der nun beginnende zweite Schub des Treibhauseffekts führte zu einer weiteren Erwärmung des Planeten um etwa 5°C, bei der alle für diese Zeit typischen Tiere ausstarben4.
4.1.2.2. Das Aussterben der Dinosaurier
Die Schichtfolge der Sedimente weist fast auf dem ganzen Globus eine Besonderheit auf. Zwischen den Ablagerungen von Kreide und Tertiär liegt eine dünne Schicht, mit sehr hohen Konzentrationen von Iridium, das außerirdischen Ursprungs sein muss. Oberhalb dieser dünnen Schicht wurden nirgends mehr fossile Reste von Sauriern gefunden. An dieser Kreide-Tertiär-Grenze finden sich auch Rußablagerungen und vermehrt Sporen von Farnen, die als Pionierarten die verwüsteten Landschaften wieder-besiedelten. Die Theorie, dass am Ende der Kreidezeit der Einschlag eines riesigen Meteoriten etwa 65 Prozent der in dieser Zeit lebenden Arten auslöschte, wird heutzutage kaum noch ernsthaft angefochten.
4.1.2.3. Das rezente Artensterben
„Der Homo sapiens steht im Begriff, eine große biologische Krise in Gang zu setzen, ein Massenaussterben, das sechste derartige Ereignis in der letzten halben Milliarde Jahren. Und auch wir, der Homo sapiens, könnten zu den lebenden Toten gehören. Die tagtägliche Rodung tropischer Regenwälder und die Besiedlung wilder Lebensräume sind keine so dramatischen Vorgänge wie der Einschlag eines Asteroiden, aber die Wirkung ist letztlich die gleiche. Klammheimlich läuft ein Massensterben ab. Das Massenaussterben geschieht praktisch von heute auf morgen. Es ist eine Sache weniger Jahre oder Jahrhunderte im Falle eines Meteoriteneinschlages oder einiger tausend oder Millionen Jahre bei erdgebundenen Ursachen. Die Erholung verläuft dagegen langsam: Sie dauert zwischen fünf und fünfundzwanzig Millionen Jahre. Langsam geht die Erholung nicht nur im Vergleich zu den Zeiträumen vonstatten, die wir uns als Einzelwesen vorstellen können, sondern auch im Hinblick auf unsere voraussichtliche Lebensdauer als Spezies.“5 In seiner BBC- Dokumentation, die in ihrer deutschen Version „Planet am Scheideweg“ heißt, hat der britische Biologe David Attenborough fünf Hauptursachen für das rezente Artensterben aufgeführt:
- Zerstörung von Lebensraum
- Übernutzung
- Umweltverschmutzung
- Verschleppung von Organismen
- Verinselung
4.1.2.3.1. Zerstörung von Lebensraum
Die exponentiell wachsende Weltbevölkerung dringt in immer neue unberührte Lebensräume ein, sowohl mit dem Neubau von Dörfern und Städten und der damit verbundenen Infrastruktur als auch mit der Produktion von Pflanzen und Tieren als Lebensmittel.
Von den Leugnern einer Bedrohung wird den Verfassern der Studien des Club of Rome Täuschung vorgeworfen. Donella & Dennis L. Meadows6 hatten mit ihren Mitarbeitern im Auftrag des Club of Rom 1972 unter dem Titel „The Limits to Growth“ (Die Grenzen des Wachstums) eine Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft veröffentlicht, für die sie 1973 den Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erhielten. Meines Erachtens sind wichtige Aussagen der mehrfach überarbeiteten Studie nie wiederlegt worden. Die wirtschaftsliberalen Leugner weisen auf eine bevorstehende Plateaubildung, eine Abflachung der Kurve der Bevölkerungsentwicklung hin. Ein leichter Rückgang des Anstiegs ist vor allem durch die rigorose Einkind-Politik Chinas zu verzeichnen. Dennoch wächst die Weltbevölkerung jährlich mit etwa 80 Millionen Menschen pro Jahr7 nur wenig vermindert weiter. In einigen Ländern beispielsweise in Afrika verdoppelt sich die Bevölkerung weiterhin etwa aller 25 Jahre. Eine Plateaubildung zeichnet sich also mitnichten ab.
„Schon heute verbrauchen die Menschen 40 Prozent der in Pflanzen durch Fotosynthese erzeugten Energie. Mit jedem weiteren Prozent, die unsere Spezies in den kommenden Jahrzehnten für sich benutzt, geht ein Prozent für die übrige Natur verloren. Letztlich wird die Primärproduktion zurückgehen, weil für die Produzenten immer weniger Platz zur Verfügung steht, und dann wird eine Abwärtsspirale einsetzen. Die biologische Vielfalt der Erde wird sich stark vermindern und mit ihr auch die Produktion, auf die wir Menschen angewiesen sind. Damit gerät die Zukunft der Zivilisation in Gefahr.“8
Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Inseln Sumatra und Borneo fast vollständig mit Regenwald bedeckt, heute sind es weniger als 8 beziehungsweise 15 Prozent. Einst mühten sich die USA mit grausamen Bombardements und Chemikalien, wie dem extrem das Erbgut schädigenden Agent-Orange den nahezu undurchdringlichen Dschungel Vietnams zu dezimieren, heute findet man nur noch auf einem Prozent der Landesfläche primären Regenwald. In Thailand gibt es außerhalb von Nationalparks keinen Primärwald mehr. Auch in anderen Staaten Asiens vollzog sich die Zerstörung von Lebensraum für wilde Tiere in sehr kurzer Zeit. Ähnlich rapide verläuft die Entwicklung in Westafrika.
Viele Naturschutzorganisationen stellen die Gier der großen Konzerne in den Vordergrund, wenn es insbesondere um die rasend schnelle Vernichtung der primären Regenwälder geht. Konzerne und vor allem Gier spielen in der Tat auch eine große Rolle. Ein weiterer Grund wird von vielen NGO´s aber verdrängt. Das ist das Handeln aus Armut, aus Dummheit oder dem schlichten Fehlen jeglicher Alternativen. Im gebirgigen Nepal holzt kein Holzkonzern die letzten Reste naturnaher Wälder ab. Sie werden zum Kochen des Reises gebraucht von den Millionen Frauen, die sich weder Strom, Gas oder Kohle leisten könnten, wenn es diese Energieträger dort überhaupt gäbe. Die Zahl der Tiger und Panzernashörner wurde nicht durch die Jagd der Herrscher und Kolonialherren dezimiert, sondern die Rodung fast des gesamten nepalesischen Tieflandes nach der Ausrottung der Malaria durch DDT brachte diese Arten an den Rand des Unterganges. Die Wälder in Sabah dem Malayischen Teil Borneos sind durch die Einwohner selbst in Palmölplantagen verwandelt worden und so mancher Murut, der vor zwanzig Jahren noch mit dem Blasrohr durch den undurchdringlichen Primärwald pirschte, fährt nun mit einem 160 PS starken Allrad-Kombi in die Kreisstadt, um die Kontoauszüge ausdrucken zu lassen.
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Quellen:
Die Sechste Auslöschung. Wie Pflanzen, Tiere und Kulturen von der Erde verschwinden
1 Georges Cuvier, 1825, Discurs sur les Révolutions de la surface du Globe, et sur les changemens quelles ont produits dans le régne animal, Dufor et d´Ocagne, Paris
2 Etienne Geoffroy Saint-Hilaire, 1830, Philosophie zoologique
3 Raup, D. M. & Sepkoski, J. J., 1982, Mass extinctions in the marine fossil record, Science, 215: 1501-1503
4 nach: R. Leakey & R. Lewin, 1995, The sixth Extinction; Patterns of Live and the future of Mankind, Doubleday, New York
5 R. Leakey & R. Lewin, 1996, Die sechste Auslöschung, Lebenswelt und die Zukunft der Menschheit, Fischer Verlag, Frankfurt am Main
6 Donella H. Dennis L. Meadows, Jorgen Randers & William W. Behrens, 1972, The Limits to Growth, Universe Books
7 http://www. Weltbevölkerung.de/presse/presseinformationen192.shtml?navanchor=10049
8 R. Leakey & R. Lewin, 1996, Die sechste Auslöschung, Lebenswelt und die Zukunft der Menschheit, Fischer Verlag, Frankfurt am Main