Angeschmiegt an die Wand aus Kalksandsteinfelsen des mediterranen Gebirgszuges leuchten die Gärten und Häuser des kleinen Dorfes in der Abendsonne. Einige sind weiß gekalkt, bei anderen überwiegen die zurechtgehauenen Kalksteinblöcke in der Farbe der Felsen im Hintergrund. Die Silhouette des Ortskerns scheint einige Formen der Felsen aufzunehmen und weiterzuführen. Wie bunte Farbtupfer schimmern das Rot der Römer-Dachziegel und das satte Grün einiger Pinien und Orangenbäume. Auf den Hügeln im Vordergrund zittern die silbrig-grünen Blätter der Olivenbäume im sanften Wind. Auf einer Mauer aus Kalksteinbruchstücken, die sich gegen den mit alten Weinstöcken bewachsenen Hang zu stemmen scheint, sonnt sich eine Perleidechse. Sie blinzelt mit einem Auge und leckt sich mit der Zunge über einen Teil der Oberlippe. Ein Zitronenfalter mit leuchtend roten Flecken gaukelt vorbei. Schnell nähert sich ihm ein Segelfalter, bemerkt seinen Irrtum und fliegt weiter. Kleine graue Tupfen bewegen sich langsam auf der Hochfläche in der Ferne. Die Schafe dort sortieren mit ihren Zungen die grünen Hälmchen zwischen dem schon braunen und harten heraus. In der Ferne; vom Menschen weitgehend ungenutztes Bergland und ein schmales mit Steineichen und einem fast undurchdringlichen Gewirr aus Kletterpflanzen zugewuchertes Klammtal. Ich gehe in ein kleines Restaurant. Etliche meist ältere Einwohner diskutieren und lachen. Ich bestelle erstmal einen Kir. Man prostet mir zu, doch niemand ist betrunken.

Ich mochte diese Bistros, Routiers und Tapa-Bars in Frankreich und Spanien sehr. Dort und in der umliegenden mediterranen Landschaft erlebte ich unzählige schöne Stunden.

Luft flimmert über der asphaltierten Strasse. Für kurze Zeit dreht sich über dem Strassengraben eine staubige Mini-Windhose, die ein vorbeirasender Sattelzug mit seinem Luftsog in der heißen Luft erzeugt hat. In den Stacheln einiger aus Amerika eingeschleppten Feigenkakteen sind Papierfetzen und Plastiktüten hängengeblieben die nun raschelnd erbleichen. Grün-golden schimmernde Fliegen schrecken hoch, als sich eine zerzauste Krähe dem aufgeblähten Kadaver des, von den durch eine Krankheit haarlos gewordenen Stellen einmal abgesehen, überwiegen hellgrau und schwarz gezeichneten Mischlingshundes nähert. Der Wind zerrt und reißt an den teilweise beschädigten Folienzelten und  treibt spanische Kommandos am Ohr vorbei; „corré hombre, rapido!“ Aus dem dunklen Loch, das ein verbogenes Blechtor des ehemaligen Supermarktlagers halb verdeckt, schallen Sprachfetzen in arabischer Sprache. Sie stammen von verschwitzen Gestalten, die in einem alten Wohnwagen und zusammengezimmerten Hütten im staubigen Halbdunkel der Halle campieren. Von einer Handvoll Spatzen, Krähen und zurzeit nicht sichtbaren Wanderratten abgesehen, wird die Umgebung nur von drei Organismenarten bewohnt; Menschen, Melonen und Zuchini. Die Menschen scheinen zwei verschiedenen Arten anzugehören; die, die laut reden und sich offen zeigen und eine Gruppe, die zwischen den Folien-Gewächshäusern und ihren versteckartigen Behausungen hin- und her huschen. Sie wollen nicht gesehen werden. Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung, was ihr Salär noch mehr vermindert. Ihr Marktwert ist ohne Papiere gering.

Nach langer Zeit verschlug es mich wieder nach Südfrankreich. Es gab viele neue Autobahnen, mit Raststätten, die nun denen in allen anderen Ländern glichen. Lange suchte ich eines der damaligen Centre-Routiers. Ich fand keines. Da wo ich glaubte, dass da früher einmal ein kleines Restaurant gewesen war, drängten sich Menschen an einem Döner-Imbiss. Döner essende Franzosen! Eine Welt brach zusammen. Die Menschen fliegen zum Shoppen nach Dubai. Doch die gleichen globalen Ketten können sie auch im Paunsdorf-Center, in Singapur, Hamburg oder Bordeaux besuchen. Sie können die Uniformität der globalisierten Welt aber nicht begreifen. Sie sind nie richtig gereist, haben die Vielfalt der Kulturen nie begriffen. Sie sind froh, dass die Chicken McNuggets in Sibiu genauso schmecken wie in Merseburg oder Kota Kinabalu.

Alles ist eine Frage der Quantität, der Dosis. Wir brauchen Wasser zum Leben. Können wir mehr als drei Tage nichts trinken, gerät unser Leben in Gefahr. Trinken wir allerdings mehr als 5 Liter am Stück, gerät unser Salzhaushalt durcheinander. An dieser „Wasservergiftung“ sind schon Menschen gestorben. Was wäre eine Suppe ohne Salz, ein Salat ganz ohne Natriumchlorid? Trotzdem weiß jeder, dass Schiffbrüchige möglichst kein Meerwasser trinken sollten. Ein Leben ohne Zucker, ohne Kuchen und Eis? Es wäre fürchterlich. Trotzdem führt ein Zuviel des lebensnotwendigen Stoffes zu Übergewicht, Diabetes und vielen weiteren Krankheiten. Am Ende sterben die Menschen an diesem Übermaß etliche Jahre früher. Es ist eine Frage der Dosis.

Feuerwehrwagen preschen zum Brand. Mit motorgetriebener Technik wird das Feuer schnell gelöscht. Ein Verletzter wird mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht. Müllwagen bringen unsere Abfälle zur Verwertung, der Supermarkt wird gerade mit einem LKW beliefert. Autos sind eine wichtige Erfindung und in vielen Fällen nicht wegzudenken. Blechlawinen der Pendler stauen sich jeden Tag auf den Molochen aus Beton, den Autobahnen, Unmengen Treibstoff werden vergeudet, weil Regierungen vieler Staaten ein effizientes Nahverkehrsnetz verhindern um ihren Lieblingskapitalisten und Spendern den größtmöglichen Absatz zu bescheren. Wie blind muss man sein, um im deutschen Autoverkehr keine Überdosis zu sehen?

Inzwischen kann jeder den Müll an den Stränden, den Gestank in der Luft, den Lärm in der Stadt sehen. Die Meere lehren sich, an einigen Stellen nehmen Quallen und Plastikmüll den Lebensraum der Fische ein. Die Grenzen des Wachstums sind überall zu sehen. Doch es gibt ein Tabu. Man darf nicht über ein Zuviel an Menschen reden. In vielen Ländern leben inzwischen mehr Menschen, als von den dortigen Ressourcen ernährt werden können. Was machen die Araber, wenn ihr Öl alle ist? Wie werden sie die Nahrungsmittelimporte bezahlen? Wo sollen die Milliarden Afrikaner, deren Zahl sich nahezu aller 25 Jahre verdoppeln, hin, wenn der Klimawandel einen Großteil des Kontinents unbewohnbar macht? Wir schaffen das! Die Politik hat auf die wichtigen Fragen keine sinnvolle Antwort und diskreditiert nun sogar Diskussionen darüber. Wer solche Fragen stellt, wird einfach zum Nazi erklärt. Ende der Diskussion! Doch die Bevölkerung des Planeten wächst genau so weiter wie der Rohstoffverbrauch und der Ausstoß an Kohlendioxyd. Es ist m.E. undenkbar, dass dies ewig gut geht, genauso undenkbar, wie eine Lösung dieser Probleme durch die etablierten Parteien. Doch niemand wagt es, Ross und Reiter zu nennen. Wer anders denkt, ist ein Spinner, ein Nazi, ein Irrer und wird ausgegrenzt. Die Milliarden zählende riesige Herde an Smartphonen daddelnder Lemminge rast auf den Abgrund zu und niemand kann sie aufhalten. Dennoch unternehme ich mit dieser Schrift einen vermutlich untauglichen Versuch. Aber ich muss das tun!

Ich achte alle anderen Kulturen und ihre Lebensweise. Aber ich möchte auch, und darauf muss ich bestehen, dass ich die von meinen Vorfahren erlernte Lebensweise im Wesentlichen beibehalten kann. Das sollte der Grundkonsens des Miteinanders sein. Doch durch die Prozesse, die ich insbesondere im 5. Kapitel zu erläutern versuche, wird mir eine meiner Sozialisation gemäße Lebensweise gegen Ende meines Lebens wahrscheinlich kaum noch möglich sein. Wenn meine Urenkel im Sinne meiner Kultur leben wollen, werden sie womöglich dafür verfolgt oder bestraft werden. Das passt mir nicht! Meinen Nachfahren wird es möglicherweise so ergehen, wie Tausenden anderer Kulturen, die ausgerottet, verdrängt, kulturell überformt, missioniert, marginalisiert oder assimiliert wurden. Wenn sie die Schilderungen der Untergänge all dieser Ethnien in den nachfolgenden Kapiteln lesen, denken sie darüber nach, wie es möglicherweise ihren Enkeln und Urenkeln ergehen wird. Vor allem denken Sie!

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