Ich muss hier unbedingt noch einmal voranstellen, dass ich möchte, dass es möglichst allen Menschen möglichst gut geht und dass ich niemanden, nicht einmal meinen Feinden Not und Elend wünsche. Dennoch gibt es Not und Elend und die Gründe dafür müssen in diesem Buch erörtert werden. Dazu muss man die Fakten aussprechen dürfen. Ich möchte keineswegs, dass Menschen getötet werden. Die Not in vielen Gebieten führt aber zum Tod Hunderttausender durch Hunger, Seuchen und Kriege. Die Nachrichten in den Massenmedien sind voll davon, aber die Ursachen werden selten wahrheitsgemäß erklärt. Man sollte das Muster, demnach Not Terrorismus auslöst und erst sekundär der Terrorismus dann wieder weitere Not hervorruft, erkennen können. In Kapitel 6 werden dazu weitere konkrete Beispiele in Bezug auf Imperialismus und Terror aufgezeigt. Hier erst einmal ein paar „normale“ Beispiele.
Malthus wird heutzutage fast überall völlig abgelehnt. Ich wiederhole vereinfacht noch einmal die Kernaussage des Bevölkerungsgesetzes. Die lautet, dass wenn dem nichts entgegensteht, sich Bevölkerungen von Gebieten exponentiell, die Nahrungsproduktion im bezüglichen Gebiet sich aber eher linear entwickeln. Solch eine Aussage kann man am besten mit Graphen in Diagrammen überprüfen. Die meisten Menschen hassen Statistiken. Eine Überprüfung der Aussage ist aber ohne Zahlenmaterial von Statistiken nicht möglich. Natürlich wird wohl kaum ein Diagramm exakte mathematische Kurven beispielsweise der Funktion x2 zeigen. Aber man kann meines Erachtens an den nachfolgenden Beispielen sehr gut sehen, dass sie solchen Graphen recht ähnlich sind. Hier noch einmal der originale Wortlaut der deutschen Übersetzung: „Daß die Bevölkerung die dauernde Neigung hat, sich über das Maß der vorhandenen Lebensmittel hinaus zu vermehren, und daß sie hierdurch auf ihrem notwendigen Niveau erhalten wird,…“ Das bedarf natürlich einer Erläuterung. Viele Bevölkerungen vermehren sich heute sehr deutlich über das Maß der in ihrem Land oder Gebiet erzeugten Lebensmittel hinaus. Viele afrikanische Länder aber auch Nepal, Haiti, Afghanistan und Bangladesch beziehen einen großen Teil ihrer Lebensmittel aus Hilfslieferungen der Welternährungsorganisation und zahlreicher NGO´s. Das Bevölkerungswachstum vieler Gebiete wäre ohne diese Lieferungen kaum denkbar. Ab einem gewissen Ausmaß an Not und Elend flacht sich normalerweise die Kurve ab. Zu den Überlegungen von Malthus vor mehr als zweihundert Jahren müssten heutzutage eigentlich Betrachtungen im Sinne des „ökologischen Fußabdruckes“ hinzukommen und man müsste sich fragen, ob auf lange Sicht Bevölkerungen, die nicht nur größer sind als die von ihnen produzierten Nahrungsmittel, sondern oft ein Mehrfaches größer, nachhaltig sein können. Wenn man die Frage stellt, ob es nicht besser wäre, wenn man die Bevölkerung dieser Gebiete zu einer gewissen Art von Familienplanung bewegen sollte, erntet man meist einen Sturm der Entrüstung. Es scheint ein regelrechtes Denkverbot ausgesprochen worden zu sein, wie Kerstin Steinbach1 es unlängst formulierte. Doch erst einmal ein paar konkrete Gebiete. In einigen Fällen kann man kaum noch von Staaten sprechen, weil wichtige Bestandteile eines Staates, wie funktionierende Verwaltung und ein Bildungs- und Gesundheitssystem, welches den Namen verdient, nicht mehr oder nur in eingeschränktem Maße vorhanden sind. In einigen Fällen spricht nicht nur Jared Diamond von „Failed States“ – von gescheiterten Staaten.
Als ich im Jahr 2016 anfing an diesem Buch zu arbeiten waren viele Statistiken leicht und offen zugänglich. Einige Portale gibt es nun nicht mehr und andere verlangen mehr oder weniger hohe Nutzungsgebühren. Glücklicherweise gibt es eine neue für alle offen stehende Datenbank der FAO. Jedoch sind viele Daten anders zusammengefasst, als die Daten, die ich am Anfang der Arbeit zur Verfügung hatte. Einige Daten kann ich nicht mehr vervollständigen. Ich habe also die Daten so ausgewählt, dass man sie trotzdem eindeutig und unverfälscht vergleichen kann.
3.2.1 Bangladesch
Fläche: 148.460 km2 Bevölkerung: 167 Mill. Bevölkerungsdichte: 1124,9 Einwohner pro qkm
Im Jahr 2020 erreichte die Bevölkerungsdichte des Landes einen Wert von 1124,9 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das ist der höchste Wert weltweit. Dennoch geht der Anstieg des Graphen in lineare Werte über, aber mit weitaus größerem Anstieg als der die Lebensmittel Betreffenden. Viele Entwurzelte suchen in der Hauptstadt Dhaka ihre Existenz zu erhalten. Dort leben inzwischen 17,6 Millionen Einwohner. Doch es wurden auch Fortschritte erzielt. Die Geburtenrate sank von etwa 7 pro Frau im Jahr 1979 auf 3,3 im Jahr 1999 und wird wahrscheinlich weiter sinken12. Trotzdem leiden mehr als 40 Prozent der Kinder an Mangelernährung. Sie bleiben kleiner als ihre Mitmenschen und haben vielfältige Probleme, sagt Prof. Tahmed Ahmed aus Dhaka: „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Mangelernährung auch sehr stark die Gehirnentwicklung betroffener Kinder beeinträchtigt. Sie versagen in der Schule, weil es ihnen an kognitiven Fähigkeiten fehlt. Als Erwachsene werden sie Probleme haben, Dinge zu verstehen. Sie werden deshalb deutlich weniger als andere Menschen zur Entwicklung unseres Landes beitragen.“11 Fast die gesamte Landesfläche, von Siedlungen und Strassen abgesehen, wird für den Reisanbau benötigt, der mit seinen drei Ernten pro Jahr die Bevölkerung ernährt. Während die Haltung von Schafen und Rindern stagniert, konnte die Zahl der Ziegen erhöht werden. Ziegen verhindern aber den Aufwuchs von Büschen und Bäumen und sind ökologisch damit fragwürdig. Sie können aber auch minderwertiges Futter, wie Pappe und anderen Abfall verwerten. Der Ertrag von Reis konnte zwar erhöht werden, die Steigung des betreffenden Graphen ist aber deutlich geringer als der Anstieg der menschlichen Bevölkerung. Die Nahrungsversorgung wird sich so perspektivisch nicht verbessern. Schon jetzt sind Gebiete von Versalzung betroffen. Der Anstieg des Meeresspiegels aufgrund des Klimawandels wird dieses Problem vergrößern und zudem die Anbauflächen deutlich verkleinern.
Jahr | Menschen in tausend | Reis in
tausend t |
Ziegen
in tausend |
Schafe
in tausend |
Rinder in tausend | Fisch in tausend t |
1950 | 39.728 | 162 | ||||
1965 | 58.500 | 15.750 | 9.150 | 600 | 22.370 | 543 |
1975 | 74.700 | 19.142 | 11.000 | 1.066 | 25.500 | 567 |
1985 | 85.959 | 22.556 | 14.800 | 709 | 22.132 | 642 |
2000 | 129.193 | 37.627 | 34.100 | 1.132 | 22.310 | 1.004 |
2005 | 140.912 | 39.795 | 41.800 | 1.400 | 22.670 | 1.333 |
2010 | 148.391 | 50.061 | 51.400 | 1.820 | 23.051 | 1.550 |
2015 | 157.830 | 51.805 | 56.000 | 2.090 | 23.636 | |
2020 | 167.420 | 54.905 | 58.343 | 2.059 | 24.391 |
Quelle: FAOStat
Versuchen wir uns an die Berichte über Bangladesch in den Medien in den vergangenen Jahren zu erinnern. Es war von großer Not die Rede, von Überschwemmungen, die ein verheerender Sturm angerichtet hatte. Von Überbevölkerung und zu starkem Bevölkerungswachstum war in den deutschen Medien nie die Rede. Die Bevölkerung vervierfachte sich in der Zeit von 1950 bis 2015, während die Nahrungsmittelproduktion keinesfalls im selben Maße erhöht werden konnte. Auch ohne Stürme und Überschwemmungen vegetiert die Mehrheit der Bevölkerung elend dahin. Durch das totale Überangebot von billiger Arbeitskraft findet man in diesem Land überall Manufakturen in denen Frauen und Kinder für Hungerlöhne schuften. Ab und zu findet sich in den Medien ein Bericht über ein eingestürztes oder abgebranntes Fabrikgebäude in dem hunderte der Ärmsten umgekommen sind. Diese Landschaften pauperistischen Frühkapitalismus entstanden durch die ungute Kombination von um den Planeten rasender Globalisierung, Senkung des Marktpreises der Arbeitskraft durch Bevölkerungsexplosion, nicht vorhandener Bildung, und Einfluss von Religion, welche die Familienplanung regelrecht verbietet. In den Medien werden aber meist nur Naturkatastrophen und einige Exzesse wie Billiganbieter von Textilien thematisiert. So wird dem europäischen Konsumenten die Schuld zugeschoben, die er aber nur zum Teil hat. Auch teure Marken lassen in Bangladesch und anderen Ländern mit durch Überbevölkerung niedrigen Löhnen produzieren. Der Gewinn beim hippen Markenprodukt ist bloß um ein Vielfaches höher. Die Ausbeutung ist gleich. Doch der Westeuropäer verweigert sich hartnäckig einfachsten und logischen Schlussfolgerungen. Es kann nicht am Kapitalismus liegen. Die Hirnwäschen von Jahrzehnten Kalter Krieg scheinen unauslöschlich zu sein.
Ich finde die Zustände in vielen Ländern schlimm. Ich bin nicht gefühllos. Doch nur mit Gefühlen kann man die Welt nicht klar genug erfassen. Gerade in Verbindung mit dem Klimawandel liegt vermeintlich die nahezu alleinige Schuld bei den „reichen Ländern“. Natürlich haben wir und verbrauchen wir auch noch mehr Kohlenwasserstoffe als viele Entwicklungsländer und erzeugen dabei viel Kohlendioxid, das unbestritten den Anstieg der Temperatur bewirkt. Doch ein direkter Vergleich von Ländern der Tropen mit uns ist in gewisser Weise auch unfair. Wir müssen im Winter heizen, die meisten Afrikaner nicht. In Ländern, wie Bangladesch, deren Bewohner durch ihre große Anzahl und die Mechanismen des globalisierten Kapitalismus unbewusst ihrer geringen Löhne bewirkt haben, braucht man nun Kraftwerke um die vielen Textilfabriken betreiben zu können. LNG-Gas ist zu teuer, weil durch Embargos des Westens seit kurzem sehr nachgefragt. Für Bangladesch kommt im Wesentlichen eigentlich nur Kohle als Energielieferant ernsthaft in Frage. Allein das Kohlekraftwerk Rampal verbrennt 10.000 Tonnen davon im Regelbetrieb – täglich! Genau wie die beiden anderen Großkraftwerke in Taltoli und Pavra liegt es nah am UNESCO-Weltnaturerbe Sundabarns. Das neue Kraftwerk in Pavra ist mit 1320 Megawatt genauso groß, wie das in Rampal. Pro Tag wird so ein richtig großer Frachter mit Kohle benötigt und 621.000 Tonnen CO2 erzeugt13.
3.2.2. Burundi
Fläche: 27.834 km² Bevölkerung: 11.466.756 Bevölkerungsdichte: 399 Einwohner pro qkm
Vom kleinen Zentralafrikanischen Staat Burundi hört man in unseren Medien im Prinzip nichts. Dabei gehört Burundi zu den Spitzenreitern in vielen Disziplinen. Im Entwicklungsindex liegt der Staat auf Platz 184 von 188, da gibt es also lediglich nur noch vier schlimmere Länder. Gemessen am BIP ist Burundi das drittärmste Land der Welt. Bei den Geburten pro Frau liegt es mit 6,04 hinter Niger (7,40), Somalia (6,6), Kongo (6,4), Mali (6,35) und Tschad (6,31) auf einem respektablen sechsten Platz.
Obwohl die Werte der Landwirtschaft mehrmals durch Zusammenbrüche das Erreichen von Grenzen erkennen lassen, wächst die Bevölkerung weiterhin exponentiell.
Absoluter negativer Spitzenreiter ist Burundi in den letzten 25 Jahren beim Welthunger-Index. Aus dieser Sicht ist es dann tatsächlich das ärmste Land der Welt. 42,6 Prozent der Bevölkerung hungern. Die Graphen der Statistik zeigen malthusianische Verhältnisse in Reinkultur. Die Produktion von Getreide und Vieh stagniert, die Bevölkerung wächst exponentiell an. Zumindest die Population der Hühner konnte sich nach dem Zusammenbruch am Ende der neunziger Jahre wieder erholen. Wie in den meisten der ärmsten Länder steigerte sich die Anzahl der Ziegen, welches in den nächsten Jahren katastrophale Folgen haben wird. Es wird kaum noch Wald nachwachsen können. Es ist offenbar bis jetzt noch nicht vielen Menschen aufgefallen, dass Bevölkerungswachstum und Wohlstand direkt reziprok kongruent gekoppelt sind. Umso ärmer die Menschen sind, umso weniger sie in der Lage sind, sich und ihre Kinder zu ernähren, umso mehr bekommen sie davon.
weiter zu: 3.2.3. Ruanda
1 Steinbach, Kerstin; Denkverbot Geburtenkontrolle, Ahriman-Verlag GmbH, Freiburg, 2020
Quellen: 11 „Der stille Killer in Bangladesch“ Deutschlandfunk Kultur, 10.06.2014
- Länderdatenbank der „Deutschen Stiftung Weltbevölkerung“
13 Thier, Clara; Kohleboom in Südasien – hier verdienen deutsche Firmen mit, Wirtschaftswoche, 30.3.2024